Debatte um den Film

Um die Präsentation des Films gab es eine Kontroverse, das Filmtage-Team nahm kurz vor Festivalbeginn »Tunten zwecklos« aus dem Streaming-Angebot, es sollte bei der Premiere am 23. Oktober im Passage-Kino bleiben, jedoch ohne Diskussion. Innerhalb einer konflikthaften Auseinandersetzung stellte sich heraus, dass ältere Szenen im Film als kulturelle Aneignung gewertet wurden und der Film deshalb – trotz bereits im Programmheft befindlicher dreier Triggerwarnungen – als potenziell verletzend besonders für asiatischstämmige BesucherInnen angesehen wurde. Die Debatte darüber ist noch nicht beendet (Stand 21. November 2021), sie erstreckt sich auf mehrere Ebenen: den Umgang mit potenziell »verletzendem« Material sowie die Frage, wie es zu einer entsprechenden Einstufung kommen kann und wer dazu ermächtigt ist, diese Einstufung in der Programmplanung wirksam werden zu lassen. Desweiteren steht die Frage der Kommunikation zur Diskussion, die vom Filmtage-Team einseitig für beendet erklärt wurde und sich auf diese Weise einreiht in Ereignisse, die derzeit im kulturellen Umfeld vielfach zu beobachten sind und in deren Zusammenhang die Begriffe »Cancel Culture« und Zensur fallen. Die Kontroverse um den Film war in diesem Zusammenhang für die Bollenmädels und für viele andere weitgehend unverständlich und selbst wiederum verletzend, da sie die Zugehörigkeit der Bollenmädels und ihres weiteren Kreises zur queeren Community, wie sie beim Hamburg Queer Film Festival repräsentiert wird, infrage zu stellen scheint.

Teile des Filmtage-Teams ermöglichten eine Debatte im Anschluss an die Premiere am 23. Oktober im Passage 1, die sie mit einer Entschuldigung bei den FilmemacherInnen und den Bollenmädels für die missglückte Kommunikation seitens des Teams einleiteten. Es kam zu teils wütenden Nachfragen an das Team aus dem Publikum. Didine verlas eine Tunten-Eloge, Beate von den Bollenmädels las folgendes Statement:

Ich stehe hier allein und nicht im Fummel, so war das nicht geplant gewesen. Es sind noch 3 andere Mädels da, Rita, Ramona und Burga, 5 sind gar nicht gekommen. Wir hatten uns sehr auf die Premiere „unseres“ Films gefreut, das heißt des Films von Jutta und Mirek, den wir heute zum ersten Mal in der Endfassung gesehen haben. Ich spreche hier nicht als Vertreterin der Bollenmädels, sondern ausschließlich als Beate. Zu 3 Punkten möchte ich kurz was sagen: Prozedere, Identität, Kommunikation.

1. Prozedere:

  • Es gab im Sommer 3 Vorgespräche, in denen u. a. Formen der kulturellen Aneignung im Film problematisiert wurden, eins davon wurde als Interview (Q&A) aufgenommen, das gezeigt werden sollte; es gab im Programmheft 3 Triggerwarnungen und einen Begleittext, der den Film selbst schon in Hinblick auf das Thema kulturelle Aneignung framt. Nach all dem erfuhren wir vor 2 Wochen, kurz vorm Festival, dass die Absprachen nicht gelten, der Film nicht gestreamt wird, das Q&A gar nicht gezeigt. In der Begründungsmail kam das Wort „verletzend“ mehrfach vor. Das hat mich und andere vollkommen kalt erwischt. Wir, verletzend?
  • Eine knappe Woche später erfuhren wir, worum es geht: die 20 Jahre alten Geisha-Szenen, von denen sich Teile der Community verletzt fühlen könnten. Wohl auch auf Drängen von außen hin gab es dann am Montag eine Erklärung, aber die hat es nicht besser gemacht. Ohne zu sagen, worin denn das Problem liegt, wurde vor allem euer Entscheidungsfluss erklärt, nach dem Motto: Sorry Leude, dass wir jetzt sooo spät den Film aus dem Verkehr ziehen, aber es war halt leider echt nötig.
  • Was bedeutet das? Ihr habt hier was vermischt. Man weiß am Ende nicht mehr: Liegen die Probleme im Framen des Films, geht es um den Film an sich oder geht es um uns Bollenmädels? Aus meiner Sicht habt ihr das maximal verkackt. Ich fühle mich durch euer Handeln negativ markiert, fühle mich beschädigt. Ihr hättet zur Abmachung mit uns stehen sollen, anstatt uns unter den Bus zu werfen.

2. Identitäten:

  • Es geht darum, Gruppen zu schützen, die sich verletzt fühlen könnten. Geschenkt, da bin ich dabei und auch bereit, mein Repertoire zu hinterfragen und dazuzulernen. Aber letztlich habt ihr euch durch die Entscheidung für die eine mögliche Gruppe gegen eine andere, sehr reale Gruppe entschieden. Zu meiner Identität gehört die Erfahrung des Ausschlusses, das sage ich in dem Film auch. Leider hat eure Kommunikation bei mir genau diese Erfahrung getriggert, und ich glaube, das ging einigen anderen auch so.
  • Tunten haben auch eine Identität. Ich habe in der ganzen Kommunikation wenig Interesse an uns gespürt. Mehrfach wurden wir gefragt, warum wir uns so und so „verkleiden“. Dazu möchte ich sagen: Tunten verkleiden sich nicht, sondern ziehen sich was an, sonst würden sie sich erkälten. Wir sind Bollenmädels, und die Dirndl helfen uns dabei, das zu zeigen.
  • Darüber hinaus gibt es ein Spiel mit Identitäten, über das ich im Q&A auch gesprochen habe und das ich als befreiend erlebe – befreiend von den Zwängen von Identitäten –, nicht als beleidigend. Uns geht es ums Zusammenbringen, nicht ums Trennen. Ich sage gern was dazu, wie ich unser Spiel mit Identitäten verstehe. Wenn es diese Aufnahmen im Film sind, die uns diesen ganzen Ärger eingebracht haben, dann muss ich sagen: Das ist wirklich traurig.

  • Damit komme ich zum letzten Punkt: Kommunikation. Wenn wir jemandem auf den Schlips treten – das ist so ein Ausdruck aus meiner Zeit –, dann ist es gut, das gesagt zu bekommen und ins Gespräch zu kommen. Die Absage allerdings war die Verhinderung von Gespräch, letztlich auch eine Bevormundung der möglichen Zuschauer. Für mich hieß es: Etwas an euch ist so toxisch, dass wir euch aus der Kommunikation rausnehmen. Oder auch: Eure Generation sagt grundsätzlich verletzende Dinge, ihr seid jetzt mal raus. Insofern bin ich Lennart dankbar, dass er zusammen mit anderen dieses Gespräch möglich gemacht hat.
  • Der Diskurs um kulturelle Aneignung ist wahnsinnig mächtig, der Verdacht reicht schon. Möglicherweise ging es hier ja weniger darum, ZuschauerInnen vor Verletzungen zu schützen, als euch vor Angriffen, dass ihr bei der Programmauswahl zu nachlässig wart. Dazu will ich sagen:  Hey, da stimmt doch was nicht, das kanns doch nicht sein. In dem Moment, wo dieser Reflex, alles richtig zu machen, dazu führt, die Community zu zerlegen, haben ganz andere gewonnen, aber sicher nicht ihr, nicht wir. Denn für mich heißt es gerade, nach Jahrzehnten: Das ist nicht mehr mein Festival.
  • Und noch eins: Wir sind hier ja nicht alle WissenschaftlerInnen. Ich finde, auch Männer und Frauen, die vor 30 Jahren ihr Coming-out oft hart erkämpft haben und dann aufgrund ihrer Lebensumstände nicht mit dem aktuellen Diskurs um vertraut sind, die gehören genauso zur Community. Und wenn sie ein Wort sagen, das jemand anders verletzen könnte, dann muss man Wege finden, darüber ins Gespräch zu kommen, anstatt sie auszuschließen. Sie gehören nämlich dazu, anders als die, die bewusst verletzen wollen. Ich denke, ihr müsst euch entscheiden, zwischen Community und Diskurs, und mein Eindruck ist gerade, ihr habt euch schon entschieden.